Dienstag, 17. Mai 2016

Einige Gedanken zum Bedingungslosen Grundeinkommen

Eines vorneweg: Die Finanzierung ist möglich! Wenn auch nur durch eine fundamentale Reformierung des schweizerischen Steuer – AHV / IV und Lohnsystems. Das BGE basiert auf einer Umschichtung des bereits im Fluss befindlichen Kapitals. Es braucht kein zusätzliches Kapital. Das BGE ist ein Nullsummenspiel! Die Umsetzung würde dennoch ein politischer - und gesellschaftlicher Kraftakt werden und stellt vermutlich die Grösste Hürde des BGE dar. Interessanter hingegen sind die gesellschaftlichen Auswirkungen des BGE. Wer mehr über die Finanzierbarkeit des BGE erfahren möchte, dem empfehle ich das kurzweilige Buch „Bedingungsloses Grundeinkommen - Eine kritische Auseinandersetzung mit der Finanzierung und möglichen Folgen einer Einführung“.

Unsere Gesellschaft hat sich im gegenwärtigen System bequem eingenistet. Die Idee einer neuen Wirtschafts – bzw. Gesellschaftsform wird umgehend niedergeknüppelt und gerne mit dem Argument zementiert, dass unser Wohlstand eben genau auf diesem System aufgebaut wurde und wir selbiges unbedingt beibehalten müssten. Das stimmt teilweise. Die Freie Markwirtschaft und der Kapitalismus haben den Lebensstandard der breiten Bevölkerung soweit gebracht, wie wir ihn heute zu geniessen wissen. Aber zu welchem Preis? Der Kapitalismus ist ein Auslaufmodell, genauso wie es der Kommunismus auch war. Schaut man nämlich genauer hin, weisst dieses System eklatante Mängel auf. Um diese Mängel wahrzunehmen, braucht es ein gewisses Einfühlungsvermögen bzw. die Fähigkeit sich in Lebenssituationen Anderer zu versetzen und über die eigene Komfortzone hinweg zu denken. Eine Fähigkeit die scheinbar nur dem sogenannten „Gutmenschen“ gegeben ist. Denn auch in der Schweiz gibt es, trotz des hohen Lebensstandard, Armut: Die Caritas Schweiz beziffert über eine Million Menschen in der Schweiz als in Armut oder knapp über der Armutsgrenze lebend. Besonders von Armut betroffene Bevölkerungsgruppen sind Alleinlebende, Einelternhaushalte oder Paarhaushalte mit drei und mehr Kindern aber auch Personen ohne nachobligatorische Bildung, Frauen sowie Rentner. Für diese Bevölkerungsgruppen gibt es keine Alternativen, den solche schliesst der Kapitalismus kategorisch aus. Für jedes Individuum gibt es in diesem System nur eine anerkannte Möglichkeit: Mach mit oder verrotte! Genau hier liegt der Fehler im System: Aufgrund des sozialen Gefälles zwischen Arm und Reich wäre es vermessen von Chancengleichheit zu reden. Oben genannte Bevölkerungsgruppen können sich unmöglich ins System einbringen wie es von ihnen erwartet wird. Genau da setzt das Grundeinkommen den Hebel an (dazu weiter unten mehr).

Kapitalismus ist nicht per se schlecht, bietet aber Freipässe für Ausbeutung durch die Elite und dividiert die Gesellschaft in Arm und Reich. Langfristig bietet der Kapitalismus nur einer elitären Gruppe einen Mehrwert. Seit der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert bis heute entwickelt sich dieses System rasant zum Gesellschaftskeil: Die ungleiche Verteilung des Wohlstandes und die Dimension der Lohnscheren sind gigantisch! Das „Trickle-Down“ Prinzip hat versagt und ist heute nichts weiter als eine mühselig aufrechterhaltene Lüge der oberen 10`000! Das Hauptproblem: Eine Minderheit die an der Spitze dieser Pyramide agiert und spielt nach ihren eigenen Regeln. Banken, Wirtschaftskonglomerate, Lobbyverbände und Regierungen gestalten sich ihre eigenen Rahmenbedingungen um exorbitante Gewinne zu erzielen und unterbinden somit die Möglichkeit, ein Gleichgewicht in der Gesellschaft herzustellen. Die Idee effektiver, regulatorischer Organe wird kategorisch abgelehnt. Eine gerechte Verteilung des Wohlstandes liegt nicht in deren Interesse. Und für das breitabgestützte Fundament des Kapitalismus, den Mittelstand, werden diese Spielregeln längerfristig genauso zum Verhängnis wie der sozial schwächsten Bevölkerungsgruppe: Die Löhne stagnieren, die industrielle Produktion schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt, immer mehr Leute finden nur Teilzeitjobs in der schlechtbezahlten Dienstleistungsbranche und was noch viel schlimmer ist: Wir arbeiten uns zu Tode! Das Rentenalter wird konstant erhöht, Stress nimmt zu, immer mehr Druck und Leistungsforderungen am Arbeitsplatz, Burnouts, mehr IV Bezüger, Krebs, Unzufriedenheit sind die Folgen. Zeit für Freunde und Familie werden knapper, Kinder werden zu Konsumenten erzogen, die Lebenserhaltungskosten steigen von Jahr zu Jahr während durchschnittliche Lohnerhöhungen im Zehntel Prozent Bereich liegen. Der Kapitalismus in dieser Form lässt keinerlei Freiraum für Individualismus. Wer sich gegen dieses System entscheidet, fällt durch die sozialen Netze und riskiert Ausgrenzung aus der Gesellschaft.

Und dann kommt die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens…

Wir haben noch nicht begriffen, dass es neben körperlicher und seelischer Gesundheit eigentlich nichts Erstrebenswerteres gibt, als ein glückliches Leben abgekoppelt von finanziellen Zwängen zu leben. Mit finanziellen Zwängen meine ich die Notwendigkeit das Lohn immer an Arbeit gekoppelt sein muss. Dieses seit Jahrhunderten der Menschheit ins Hirn gemeisselte Prinzip müsste erst einmal durchbrochen werden. Das BGE gewährleistet (durch Gesellschaft und Staat) jedem Schweizer Bürger den Teil an finanziellen Mitteln, den man zum Leben braucht. Nicht mehr und nicht weniger als eine bedingungslose Existenzsicherung um ein Leben in Würde zu leben. Was hätte dies für Auswirkungen? Die weiter oben genannte Chancengleichheit für die ganze Bevölkerung! Jeder Schweizer Bürger hätte unabhängig von seinem finanziellen und sozialen Status die Möglichkeit sich so in die Gesellschaft zu integrieren wie es für ihn als Individuum möglich und richtig erscheint ohne dabei seine Existenz aufs Spiel zu setzen. Ich denke in dieser aufgeklärten und fortschrittlichen Zeitepoche in der wir leben, (und ganz speziell in einem fortschrittlichen und reichen Land wie der Schweiz!) entspräche dieser Anspruch dem Zeitgeist. Die Befürchtung, dass alle nur noch auf der faulen Haut herumliegen würden und die Wirtschaft zum erliegen käme, ist unrealistisch. Ganz im Gegenteil: Innovationen, Fortschritt und Motivation würde gefördert, weil Arbeit nicht mehr direkt als Lebensnotwendigkeit gesehen werden muss. Und auch wenn sich eine Minderheit der Bevölkerung dazu entscheiden würde gar nicht mehr zu arbeiten (diese Bevölkerungsgruppe gibt es bereits heute) so wäre dies nach neuster Erkenntnis für die Gesellschaft verkraftbar: Die ETH Zürich hat berechnet, dass die benötigten Arbeitsstunden für die Herstellung einer bestimmten Menge Güter sich alle 27 Jahre halbiert. Was heisst das? Die zu verrichtenden Arbeiten in der Gesellschaft schrumpfen, was zur Folge hat, dass Vollzeitbeschäftigung keine Notwendigkeit mehr wäre. Und wer macht die „Drecksarbeit“? Dazu ein Auszug aus Philipp Loepfes Bericht in „Das Magazin“: „Hier kommt eine andere Dynamik in den Arbeitsmarkt: Die Drecksarbeit wird nicht mehr mit Lohnzuschüssen subventioniert, sondern wird zum Mangel – und damit gemäss der Logik von Angebot und Nachfrage teurer. Es wird gleichzeitig ein Anreiz geschaffen, diese Arbeit durch Maschinen zu ersetzen. Es würde genügend Wohlstand geschaffen werden, sodass der Zwang entfallen würde, Menschen zu Erwerbsarbeit zu zwingen, nur damit sie beschäftigt sind. Das Gegenteil geschieht mit der kulturellen Arbeit. Hier sind Produktivitätszuwächse kaum möglich. Gibt es ein Grundeinkommen, dann wird jedoch die kulturelle Arbeit im Verhältnis billiger, weil sie nun von Menschen freiwillig und gratis verrichtet werden kann, die von der Routinearbeit befreit sind. Kranke können so besser gepflegt und Kinder besser ausgebildet werden. Weil menschliche Arbeit endlich wieder erschwinglich würde, könnte die viel beschworene Dienstleistungsgesellschaft endlich kommen.“ „Drecksarbeit“ wird also aufgewertet und Arbeitgeber zahlen für „Drecksarbeit“ höhere Löhne, weil die Leute eben nicht mehr gezwungen wären, bei ihnen zu arbeiten. Ein garantiertes Grundeinkommen stärkt die Arbeitnehmer, nicht die Arbeitgeber!

Das BGE will die Arbeit nicht abschaffen wie fälschlicherweise von den Gegnern behauptet wird, im Gegenteil: Das Grundeinkommen wertet die Arbeit auf, es will den Zwang, einer schlecht bezahlten und zudem unbefriedigenden Arbeit nachzugehen beseitigen und damit den Menschen die Möglichkeit einräumen, bei der Sicherung ihrer existenziellen Grundbedürfnisse einer sinnvollen Arbeit nachzugehen. In verschiedenen Ländern wurden und werden bereits Grundeinkommen ausbezahlt (Kanada, Finnland, Niederlande). Die Auswirkungen auf die Gesellschaft waren fundamental positiv wie das Beispiel in Kanada zeigt: In den siebziger Jahren wurde während fünf Jahren in einem sozialen Experiment allen erwachsenen Bürgern der Stadt Dauphin ein jährliches Minimaleinkommen (Mincome) garantiert. Zur Zeit von Mincome gingen die Spitalaufenthalte um 8,5 Prozent zurück. Es gab weniger Einlieferungen wegen psychischer Störungen, familiärer Gewalt, Auto- und Arbeitsunfällen. Die Resultate entkräfteten die Befürchtung, ein garantiertes Einkommen mache die Empfänger arbeitsunwillig. Nur ein Prozent der Männer, drei Prozent der verheirateten Frauen und fünf Prozent der unverheirateten Frauen arbeiteten nach der Einführung von Mincome weniger als zuvor. Verheiratete Frauen nutzten die finanzielle Unterstützung für einen längeren Mutterschaftsurlaub. Unverheiratete Frauen bildeten sich weiter, um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Psychische Beschwerden sowie die Scheidungsrate gingen zurück. Das neue Gefühl der Sicherheit trug also anscheinend entscheidend zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden der Teilnehmer bei und senkte ganz nebenbei die Kosten des Gesundheitssystems.

Natürlich birgt auch ein BGE Risiken und würde unsere Gesellschaft vor ganz neue Herausforderungen stellen. Es Mag sein, dass das BGE noch eine romantische Utopie ist. Das liegt allerdings nur daran, dass unsere Gesellschaft noch nicht bereit ist für solch tiefgreifende, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen bzw. die Vorzüge und Möglichkeiten noch nicht erkennt oder anerkannt sind und die Angst möglicher negativer Effekte grösser ist, als die Vorstellung des gesellschaftlichen Benefit

Die schweizer Abstimmung am 5. Juni wird vermutlich deutlich scheitern, trotzdem zählt für mich der Schritt in die richtige Richtung.

Darum JA zum bedingungslosen Grundeinkommen!